Dmitrij Šostakovič

*  25. September 1906

†  9. August 1975

von Gottfried Eberle, Mark Heyer und Inna Klause

Essay

Šostakovič-Bild im Wandel

Kaum ein russischer Komponist des 20. Jahrhunderts spiegelt in seinem Werk die Zeitläufte so intensiv wie Šostakovič. Zu Recht durfte er als »Chronist seiner Zeit« bezeichnet werden; wie kaum ein anderer wirkte er auf sie und ihre Menschen, die bei der Uraufführung seiner Symponien weinten. Sein Schaffen lässt sich nicht losgelöst sehen von der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung seines Landes; ohne sie ist sein Werk nicht hinreichend zu verstehen. Šostakovič reagierte auf die Resonanz, die seine Musik bei den Machthabern fand und die zwischen Lob und Verdammung jäh pendelte. Er erhielt Zuckerbrot und Peitsche im Wechsel, wurde einerseits zum »Volksfeind« gestempelt, andererseits mit Stalin-Preisen überhäuft. Das musste sich auf seine Musik auswirken.

Und hier beginnt ihre Problematik. Ist sie unter der Knute des Stalinismus von avantgardistischer Musik zu angepasster, »gegängelter Musik« (Theodor W. Adorno) geworden oder hat sie sich ein Moment des inneren Widerstandes bewahrt? Der Westen rühmte zwar Stücke wie die 7. Symphonie (1941) als Dokumente des Antifaschismus (ob zu Recht, wäre noch zu diskutieren), neigte aber bis zu Šostakovičs Tod dazu, ihn als Staatskomponisten zu sehen, der Doktrin des sozialistischen Realismus ...